Kurt Demmler – Versuch eines Nachdenkens danach

Kurt Demmler lebt nicht mehr. Er wählte am 3. Februar 2009 den Freitod: „Was bleibt nach dem Tode, wenn der Name nicht bleibt....?

Zu den großen Taten eines KURT DEMMLER gehören ganz sicher viele Lieder, die er in seinen Anfangsjahren selbst geschrieben und dann auch selbst gesungen hatte. Das Lied für „Maria“ zum Beispiel, „Dieses Lied sing ich den Frauen“, das er den Frauen in der DDR sang, es aber eigentlich zum Internationalen Frauentag 1970 schrieb. Eine zutiefst ehrliche Geschichte einer typischen Biografie im Damals, die einem noch heute beim Hören ein verständnisvolles Grinsen eines „gelernten DDR-Bürgers“ ins Gesicht schreibt. Diese Tat wird bleiben und, gleich vielen anderen, nicht verblassen, denn diese Art Lieder haben wir geliebt, gehört und zuweilen auch selbst gesungen. Es war die Zeit einer scheinbaren Befreiung von Zwängen, der leider schnell wieder von verkrusteten Denken Einhalt geboten wurde. Auch dagegen sang dieser bärtige Mann mit der Nickelbrille seine „Lieder, aus dem fahrenden Zug zu singen“ oder er verschlüsselte seine Botschaften mit den „Liedern des kleinen Prinzen“ (1985), seiner wohl schönsten Einspielung.

Solcher Art Geschichten und geschriebene Gedanken hat er uns als Rock-Poet und Song-Texter sehr zahlreich hinterlassen und einer der markantesten ist sicher „Wer die Rose ehrt“, weil er sich damit in unsere Herzen zunächst geschrieben und mit Cäsar noch einmal gesungen hat.

Als er damals schrieb „Kleine Freundin aus Schönefeld, fahr nach Haus, denn ist schon spät, …, deiner Mutter ist bang, so bang, niemals noch warst du fort, so lang“, hab’ ich die Melodie mitgesungen, versucht, die Saiten zu zupfen und den Texter für das feinfühlige Beschreiben der Situation geliebt….und so geht es mir mit vielen seiner Texte,

die er ins Textbuch deutschsprachiger Rockmusik schrieb, noch heute. Sie alle aufzuzählen, scheint schon fast unmöglich und sie im Nachhinein zu hinterfragen, nicht angebracht. Letztlich entsteht die eigentliche Botschaft beim Betrachten eines Bildes, beim Lesen eines Textes und Hören eines Liedes erst in uns selbst, indem wir sie mit unseren eigenen Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen ergänzen. Die wirklichen Assoziationen oder gar „Inspirationen“ will ich nicht kennen, meine eigenen sind mir wichtiger, weil sicher auch persönlicher. Dies ist der Zauber von guter Rock-Lyrik, gleich wer sie schrieb.

Gedanken an „großes Menschentum“ fallen mir angesichts der Umstände und des Freitodes von KURT DEMMLER schwer. Für mich wäre es eher ein Zeichen von Verantwortung gewesen, sich den Vorwürfen und Anschuldigungen zu stellen, sie entweder aus dem Weg zu räumen oder auch für deren Wahrheitsgehalt gerade zu stehen. Den dritten Weg des Kneifens zu wählen, fühlt sich für mich moralisch schmutzig und schäbig an, so wie es der von ihm geschriebene Text von „Wasser und Wein“ auf sehr feinfühlige Weise beschreibt. Er hat dieses Geheimnis mit in den Tod genommen, dessen Tiefe nur einige wenige wirklich ergründen wollen, weil sie vielleicht auch müssen.

Da stand ein Demmler singend während der Großdemo anno 1989 auf dem Podium vom Alexanderplatz und ritt eine ironische Attacke auf die Stasi, ließ sich dafür feiern. Er legte seinen Zeigefinger tief in die Wunden von Scheinmoral und Korruption und hätte eigentlich vor Schmerzen aufschreien, statt singen, sollen. So ein zweites Gesicht hatte ich ihm, wie sicher viele andere auch, nicht zugetraut und dennoch bleibt für mich zusätzlich die Frage, wie sein „Problem“ so völlig unbemerkt für sein Umfeld die Jahre überdauern konnte und warum nicht schon viel zeitiger irgendwo irgendwer einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen oder nicht wenigstens etwas unternommen hat, das sich als Hilfe hätte herausstellen können. Was für mich also nach dem Tode von Demmler bleibt, ist auch diese Frage in die eisige Kälte des Schweigens gestellt. Was muss dieser Demmler, und das frage ich völlig ohne Mitleid, innerlich einsam und zerrissen gewesen sein!

Ich frage mich außerdem, welche Rolle Justiz und Medien inzwischen eingenommen haben. In einem Land, in dem täglich hunderttausende Euro für die Bewachung von freigelassenen Straftätern sowie deren Therapierung verpulvert werden und sich andererseits Opfer fragen, wie sie gesund in den nächsten Monat kommen oder schlicht nur überleben, sind Fragen, Zweifel und Wut mehr als angebracht. Auch in diesem Fall. Das eigentliche Vorurteil haben oft die Medien schon gesprochen, Anwälte haben gedreht und geschraubt und die gierige, sensationslüsterne Masse heult mit.

Aus dem Munde von KURT DEMMLER seine geschriebenen Worte zu hören, würde ich heute als Farce, beinahe als Hohn, empfinden. Ich nehme seinen Tod seit zwei Jahren als stummes Nicken, nicht aber als Erklärung oder gar als Entschuldigung, wohl wissend, dass auch eine andere Lösung möglich und wünschenswert gewesen wäre.

Zum Glück haben sich Künstler wie RENFT, CÄSAR, LIFT, STERN COMBO MEISSEN, ELECTRA, KARUSSELL, VERONIKA FISCHER, SILLY, 4PS und all die anderen Interpreten diese Texte zu eigen gemacht, sie musikalisch gekleidet und sie auf diese Weise der eventuell möglichen Doppeldeutigkeit und der hässlichen Doppelmoral beraubt.

Zum Glück, denn geschriebene Worte können und dürfen nicht für den Verfasser haftbar gemacht werden. Sie sprechen im Gegenteil so unsagbar oft tief aus unserem eigenen Empfindungen, die kaum einer treffender hätte formulieren können. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die Texte werden die Zeiten überdauern. Diese Tat wird bleiben, auch ohne den Namen KURT DEMMLER. Sie wird bleiben bis nach unserem Tode, denn sie berichtet von großem Menschentum vieler einfacher Menschen im damaligen Leben und Lande, so wie Du und ich, wie wir alle waren und sind. Das vermögen diese wunderschöne Texte sicher auch noch in Zeiten nach uns zu vermitteln.

Bleiben wird auch die unbeantwortete Frage, die er seinen Fans und seiner Familie feige hinterlassen hat.

(Februar 2011)

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