Die Anderen





Diskographie

Die Anderen/The Others/Apocalypse

Die Anderen - Singles

Forever And A Day / Sadegna - Polydor 52980 (1968)


Somebody Loves You / In The Morning - Ariola 14 222 AT


Little Little / L-O-V-E - Ariola 14 518 AT

Easy Squeezy / Somebody Loves You - AZ SERIE GERMAUX EURODISC SG 210 als THE OTHERS


Die Anderen - LP

Kannibal Komix - Ariola 80295 IT - 1968

Track List:

1 Little Little 3:10
2 Neurotic Reaction 2:40
3 Sing a Song 3:52
4 Mind My Own Business 3:27
5 Little Queen 3:11
6 Man in the Moon 2:35
7 Love 2:28
8 White House 3:02
9 Sunday Morning 3:12
10 Choo Choo Train 1:17
11 Elenor 3:03
12 Cosy Rosy 4:00

In der Neuauflage noch:

Sardegna Start
Forever and a day Start
Somebody loves you Start
In the morning

US-Version Colossus 1004 (1968)
gleiche Titel wie deutsche Version

Gatefold-Cover


Singles als 'Apocalypse'

(Leider steht für diese Version größeres Cover zur Verfügung!)

Kannibal Komix / Little Little - Colossus C-118, USA (1969)


Belter Rec. 1970


Reflections Of A Summer / Let It Die - Ariola 145 75 AU, D/USA (1969)


LP als 'Apocalypse'



Apocalypse Ariola 80 412, D/USA (1969)

Track List:

Life Is Your Profession
Let It Die
Patricia
Milkman
Try To Please Me
Pictures Of My Woman
Linda Jones
Blowing In Blow



Die Line ups der "Anderen"
und ihrer Vorgängerbands

The Five Beats:

Norbert Duggen (g) - Peter Giese (sax) - Norbert Wechselbaum (d) - Wilfried Kühn (g) - Enrico Lombardi (b)

Dylan's Folk

Karl-Heinz Hesselbach (org) - Hans-Peter Malze (b) - Volker Grosse (g) - Rolf Zilian (g) - Bernd Scheffler (d)

Chimes Of Freedom

1966 - Gerd Müller (voc, g) - Enrico Lombardi (voc,g) - Bernd Scheffler (voc, perc)

1967 - Gerd Müller (voc, g) - Enrico Lombardi (voc,g) - Bernd Scheffler (voc, perc, d) - Jürgen Drews (voc, g)

Die Anderen/ THE OTHERS/ APOCALYPSE
Gerd Müller (voc, g) - Enrico Lombardi (voc,g) - Bernd Scheffler (voc, perc, d) - Jürgen Drews (voc, g)

 


rechts hnten: Jürgen Drews (Foto: Backcover "Somebody loves you"

"Die Anderen" waren einfach anders. So empfand ich es jedenfalls, als sie mir erstmals via Bildschirm begegneten. Wie so oft hingen Augen und Ohren wie gebannt an den spärlichen Beatsendungen, die man wohldosiert - damit die Jugend nicht verdorben wird - auf uns "losließ".

In der ZDF-Sendung "Zwischen Beat und Bach" (Erstsendung 28.07.1967) trat eine Gruppe mit einem besonders schönen Outfit auf. Sie sangen, begleitet von einem großen Orchester "Wacht auf" aus den "Meistersingern von Nürnberg" von Richard Wagner. Das war eine Adaption, die sich durchaus hören ließ. So wurde mein Interesse geweckt. Nichts ahnend, dass sich einige Jahrzehnte später eine tiefe Zuneigung zu den Wagner'schen Opern entwickeln würde (> Link).

Irgendwie verlor ich die Band aus den Augen. Ich versuchte damals, eine LP zu ergattern, wurde aber nicht fündig. In internetlosen Zeiten war das fast schon eine Normalität. Bis dann vor Jahren der leider im Mai 2012 verstorbene Manfred Schwanbeck, mit dem ich oft zusammen arbeitete, auf seiner Seite "Die anderen Beatnews" eine ausführliche Biografie samt Diskografie veröffentlichte. Und erst hier erfuhr ich, dass "Die Anderen" von Kiel aus ihre Karriere starteten. Manfred wohnte auch in dieser Stadt. Mit Einverständnis seiner Witwe darf ich diese ausführlichen Informationen weitergeben.

Gerd Müller (20.11.2012)


DIE ANDEREN - GEPFLEGTER POP AUS KIEL
DIE KIELER BEAT-SZENE IN DEN SECHZIGERN

von Manfred Schwanbeck †

Man mag es kaum glauben, aber um 1963 herum entwickelte sich auch nördlich von Hamburg eine äußerst rege Beatszene. Gerade in und um Kiel herum schossen zahlreiche Bands aus dem Boden, welche ihren Kulminationspunkt ab 28. Februar 1964 im dort eröffneten Star-Club-Ableger "Star-Palast" fanden und mindestens jährlich Talentwettbewerbe gegeneinander austrugen, die heute als wahrhaft legendär gelten. Die erste große "Star-Band" dieser Phase war die aus Kiel und Preetz stammende Rock & Roll-Truppe "Five Beats" des am 25.06.1945 in Piacenza bei Mailand geborenen Enrico Lombardi. Bei seinem Vater handelte es sich um einen Musikprofessor, seine Mutter arbeitete als Sängerin. Es war also nur natürlich, dass Enrico bereits während seiner Internatszeit intensiv Klavier- und Gitarrenunterricht erhielt. Nach der Trennung der Eltern wurde Enricos Mutter zunächst nach Limburg, dann weiter nach Kiel engagiert. Er folgte ihr und absolvierte in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins erfolgreich eine Ausbildung zum Dekorateur. Nebenher machte er jedoch ständig Musik, denn eigentlich strebte er eine professionelle Karriere auf diesem Sektor an. Den Sieg seiner "Five Beats" im Star-Palast-Kapellenwettstreit betrachtete er diesbezüglich schon einmal als vielversprechenden Auftakt. So heiß es bei den Wettbewerben selbst auch zuging, so solidarisch war andererseits das Verhältnis der aktiven Musiker untereinander. Das führte dann gelegentlich schon mal dazu, dass sich die "Five Beats" für den Gesang und die Gitarrenbegleitung zusätzliche Verstärkung bei den Zweitplazierten der großen Stunde ihres Triumphes holten. Man nannte sich dann "The Five Beats Plus One".

Bei der "Konkurrenz" handelte es sich um die Kieler Folk Rock-Fomation "The Rebels" bzw. deren Mitglied Gerd Müller. Müller wurde am 04.08.1947 in Kiel geboren und war ein begeisterter Interpret von Elvis-Songs, eine Neigung, die er bei den "Five Beats" natürlich weit umfangreicher ausleben konnte, als im Rahmen seiner eigentlichen Band. Er war seit Jahren mit seiner "Sandkastenliebe" Ingrid Schwanke liiert und hatte mit dieser schon während seiner Zeit als Gymnasiast ein Kind. Nach der Schulzeit nahm er rein formell das Studium der Sozialpädagogik auf, betätigte sich de facto jedoch hauptsächlich als Musiker.

Sowohl die "Five Beats", als auch die "Rebels" wurden älter und da die Mehrzahl der Mitglieder in beiden Gruppen nicht ernsthaft an eine Karriere im Profilager dachte, lösten sie sich 1966 auf. Lombardi und Müller standen also zeitweilig ohne Band da, was dazu führte, dass Enrico in Kiel an einem Karstadt-Sängerwettbewerb teilnahm, den er gegen 399 weitere Teilnehmer zwar locker gewann, der ihm in seiner Musikerkarriere aber auch nicht entscheidend weiter helfen sollte.

Zu den ambitioniertesten Musikern Anfang bis Mitte der 60er Jahre gehörte der am 06.05.1948 in Kiel geborene Schlagzeuger Bernd Scheffler. Seine ersten Drums bekam er mit 13 geschenkt und hatte seither geübt wie verrückt, - meist unter freiem Himmel im Kieler Waldgelände "Tannenberg", um nicht wegen ruhestörenden Lärms belangt zu werden. Nach der Schulzeit begann er eine Lehre als Heizungsmonteur und verlegte seine musikalischen Übungsstunden in ein Gewächshaus des Stadtteils Pries. Dort ließ er sich von den "Ragbeats" begleiten, die aber rasch eine besondere Vorliebe für Bob Dylan, Donovan und die Byrds entwickelten und daher auf Schefflers Vorschlag hin eine Umbenennung in "Dylan's Folk" vornahmen.

DYLAN'S FOLK

Schefflers Band erarbeitete sich ein hohes Niveau und wurde 1966 in den Star-Palast nach Eckernförde verpflichtet. Dort hörten Vertreter der Plattenfirma ELEKTROLA die Jungs und luden sie zu Probeaufnahmen nach Berlin ein. Da die übrigen Bandmitglieder nicht genügend "Traute" besaßen, entschloss sich Bernd, allein an die Spree zu reisen. Conny Froboess' Vater produzierte dort mit ihm eine Single ("Ich hab keinen Schatten mehr/Menschen, die nicht lieben"), die sein gesamtes weiteres Verhältnis zum Musikbusiness entscheidend prägen sollte. Er fand die Scheibe einfach nur scheußlich. Sie belegte für ihn, wie ein junger Musiker durch solche Produktionen völlig verfälscht werden kann. Ergebnis dieser gesamten Aktion war also, dass er sich mit seinen bisherigen Mitmusikern überworfen hatte und sich andererseits in eine musikalische Richtung gedrängt fühlte, die er auf keinen Fall weiter einzuschlagen gedachte.

CHIMES OF FREEDOM

Gerade in jenen Tagen traf er jedoch in Kiels Innenstadt den ebenfalls künstlerisch genervten Enrico Lombardi, der ihm zudem seinen Kumpel Gerd Müller vorstellte. Man beschloss, gemeinsam das Projekt "Chimes Of Freedom" auf die Beine zu stellen. Alle drei waren exzellente Sänger, die nach geduldigem Üben einen Satzgesang erzeugen konnten, der sie in Begleitung von zwei Gitarren und einem Tamburin in die Lage versetzte, die Songs der Byrds und Hollies erfolgreich zu covern. Sie hatten einen unbändigen Willen zur Perfektion, der gepaart mit Idealismus und Freundschaft hervorragende Ergebnisse zeitigte. Sie meldeten sich daher spontan zu einem "Beat Band Ball" an. Scheffler: "Die Ostseehalle in Kiel war voll besetzt mit 7000 Leuten." Als dann die "Chimes Of Freedom" auftraten, hätte man eine Stecknadel fallen hören können und man eroberte den ersten Platz. Alle waren zufrieden, nur Bernd Schefflers Plattenfirma maulte. Man hatte ihn aufgefordert, im Rahmen des Sets die Single vorzustellen. Bernd, Enrico und Gerd verfremdeten das Werk aber bewusst derartig, dass es völlig unkenntlich blieb, - Bernds Rache für seine musikalische Vergewaltigung in den Elektrola-Studios.

Nach ihrem Auftritt wurden prompt zwei Personen bei ihnen vorstellig, die sich dem Trio als personelle Verstärkung suggerierten. Der erste Bewerber war Sänger Roy Grant von der "Boston Show Band". Bei dem zweiten Interessenten handelte es sich um einen am 02.04.1948 in Schleswig geborenen jungen Mann, der dort in der Jazzband "Snirpels" sang und Banjo spielte. Die Combo war recht erfolgreich und hatte bereits 5 Festivalpreise eingefahren. Gleichzeitig arbeitete er jedoch als Gitarrist und Vokalist in einer Beatband, die sich "The Monkeys" nannte. Von dieser Schiene versprach sich das Schleswiger Talent langfristig denn auch weit mehr Erfolg. Und Erfolg bzw. eine Karriere im Popbusiness wollte der Mann unbedingt, - egal wie! Als er dann bei diesem Band Contest in Kiel die "Chimes Of Freedom" hörte, wusste er sofort, dass er mit deren Qualitäten eine weitere Stufe der Leiter nach oben erreichen konnte. Lange Rede, kurzer Sinn: Ab Ende 1966 gehörte Jürgen Drews dieser Band als viertes festes Mitglied an.

Es sprach sich wie ein Lauffeuer in der Republik herum, dass es in Kiel eine neue hochbegabte Gruppe gab, und so wurden die Jungs u.a. zu einem Gastspiel in den Klub "Playboy Eden" nach Berlin verpflichtet. Dort bot Drafi Deutscher an, sie unter seine Fittiche zu nehmen und künftig zu produzieren, - ein Ansinnen, das vor allem auf Betreiben Bernd Schefflers abgelehnt wurde. Ihm war Deutscher zu kommerziell, und er wollte nie wieder Zugeständnisse in musikalischer Hinsicht machen. Stattdessen entschied man sich, an der ORF/ZDF-Sendung "Show Chance '67" teilzunehmen, die in der Sparte "Gesangsgruppen mit Instrumentalbegleitung" und "I Got Rhythm" sowie dem Byrds-Titel "He Was A Friend Of Mine" siegreich absolviert wurde. Ihr Preis war eine Reise nach Prag. Durch diesen Auftritt wurde aber auch das Lang-Management der "Lords" auf die "Chimes Of Freedom" aufmerksam und nahm sie sofort unter Vertrag. Ihr neues Management war durchaus bereit, die hohen Ansprüche ihrer Errungenschaft zu akzeptieren. "Hanseatic-Records" mit den Labels "Polydor" und "Ariola", die mit Lang kooperierten, ebenfalls. Man kam jedoch überein, eine Umbenennung der "Chimes..." in "Die Anderen" vorzunehmen, weil die Band wirklich total anders war als das sonstige Popeinerlei im Lande.

Lang vermittelte den "Anderen" zunächst einen Gastauftritt in der filmischen Klamotte "Zur Hölle mit den Paukern". Hierbei handelte es sich um den ersten Teil der Kinoserie "Die Lümmel von der ersten Bank" mit Hansi Kraus, Uschi Glas, Gila von Weitershausen, Theo Lingen und Georg Thomalla. Bernd Scheffler war zu jener Zeit aber nicht in der Lage, die Tonspuren für dieses Machwerk einzuspielen, weil er sich kurz zuvor den rechten Arm gebrochen hatte. Er wurde daher von Winnie Bremer vertreten, der einst mit Gerd Müller bei den "Rebels" als Drummer gewirkt hatte. Scheffler wird nicht traurig gewesen sein, denn das ganze Projekt lag nicht im Mindesten auf seiner Linie. Er war daher alternativ an den renommierten Filmemacher Syberberg heran getreten, der gerade auf Sardinien den Streifen "Wieviel Erde braucht der Mensch?" produzierte. Diesem hatte er für den Soundtrack die passende Gerd Müller-Komposition "Sardegna" angeboten. Was er seinen Freunden allerdings verschwieg, war, dass er bis zu ihrer Abreise nach Rom überhaupt noch keine Rückmeldung von diesem erhalten hatte. Sie trudelten dort also mit "Heinz Hermann", ihrem in Kiel stadtbekannten Mercedes-Kleinbus ein, der auffällig mit dem "Die Anderen"-Schriftzug, Gardinen und Teppichboden geschmückt war, und spielten Syberberg völlig siegessicher die Nummer auf ihren Akustikgitarren vor. Scheffler fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als der Meister auf ihren Vortrag wahrhaft enthusiastisch reagierte.

Zwei Tage später hielt sich die Band bereits in London auf. In den dortigen "Pye Record Studios" sollten mit einem 30-Mann-Orchester unter der Leitung von Nick Welsh vier Singles eingespielt werden. Die erste - "Forever And A Day/Sardegna" - erschien bei Polydor und enthielt zwei Gerd Müller-Originale. Nr. 2 ("Somebody Loves You/In The Morning") und Nr. 3 ("Little Little/L-O-V-E") hatten Müller sowie Enrico Lombardi gemeinsam geschrieben und kamen dagegen beim Ariola-Label auf den Markt. Die vierte kleine Scheibe ("Sally Goes Around The Moon") hatte ihnen der Erfolgskomponist Micky Dallon geliefert. Sie wurde allerdings nie veröffentlicht. Alternativ kam stattdessen - begrenzt auf Frankreich - die kurze Zeit später eingespielte Findon/Shelley-Komposition "Easy Squeezy" mit "Somebody Loves You" als B-Seite in die Läden. Für dieses französische Projekt wurde der Bandname sogar in "The Others" verändert bzw. internationalisiert.

Wer seinerzeit durch Kiels Plattenläden streifte, konnte feststellen, dass die Inhaber die Produkte der "Kieler Jungs" voller Stolz an exponierten Plätzen anboten. Sie zierten meist die Schaufenster an zentraler, unübersehbarer Stelle. Und die Verkaufszahlen waren in der Tat nicht schlecht. Für das Quartett stellte sich damit jedoch mehr und mehr die Standortfrage. Man musste näher an die Medien, Auftrittsforen und Studios. "Die Anderen" entschlossen sich, Kiel zu verlassen und in einem Haus in Hamburg-Niendorf eine "Kommune" zu gründen. Enrico Lombardi wohnte unter dem Dach und übernahm den Hausmeisterjob, Jürgen Drews und Bernd Scheffler bezogen die erste Etage, während das Ehepaar Müller sich im Parterre einquartierte.

Die nächsten Schritte ihrer Karriere beschrieb M. Andries im Booklet zum ersten Album der "Anderen" ganz im Stil des damaligen Zeitgeistes. Wir wollen diesen Kommentar daher im Folgenden komplett zitieren:

"Endlich! Endlich wieder eine deutsche Gruppe mit internationalem Format. Toi, toi, toi!" Das telegrafierte Discjockey Michael Vorhauer aus der Diskothek "Old Daddy" in der Universitätsstadt Marburg an Jürgen Drews, Chef und "Finanzminister" der Pop- und Beatgruppe "Die Anderen", nachdem er ihren Song "Somebody Loves You" gehört und seinem Publikum vorgestellt hatte. Die angelsächsische Konkurrenz ist groß. Die Anderen dürfen sich deshalb über dieses spontane Lob besonders freuen.

Die Anderen sind eine deutsch-italienische Kombination aus Kiel und Mailand, drei Deutsche und ein Italiener. In der ZDF-Sendung "Zwischen Bach und Beat" ernteten sie erste Fernsehlorbeeren. Dabei ging es noch relativ gemäßigt und konservativ zu. Beim nächsten TV-Film stellten die Anderen ihren musikalischen und schauspielerischen Eigensinn schon etwas drastischer heraus: sie sangen in der ZDF-Show "Für jeden etwas Musik" einen Opernchor begleitet von einem achtzigköpfigen Sinfonieorchester.

Dann kam der bisherige Höhepunkt in der gagreichen Fernsehkarriere der Anderen: "Kannibal Komix oder das Haus in Weiß". Die Songs aus diesem poppigen, verrückten Farbfilm hören Sie auf dieser Langspielplatte. Produzent Marcus Conradt hatte für "Kannibal Komix" einen Regisseur besonderer Prägung verpflichtet, den in New York geborenen und seit 1959 in München lebenden Amerikaner und Brecht-Verehrer George Moorse - ein in der "Neuen Film"-Welt hochdekorierter Mann, der für seinen Kurzfilm "Inside Out" mit dem Prädikat "Besonders wertvoll" ausgezeichnet wurde. Weitere Renommierfilme von Moorse sind "Der Findling" nach einer Novelle von Kleist und "Kuckucksjahre" nach einem eigenen Drehbuch. Produzent Conradt, selbst Verfasser des "Kannibal"-Buches, sagte über seinen Film: "Das gibt eine Revolution auf dem Bildschirm. Mit diesem Film setze ich einen Meilenstein für ein höheres Niveau der Fernsehsendungen." Soweit man bei "Kannibal Komix" von einem "Inhalt" sprechen kann - hier die Angaben:

Eine Gruppe junger Leute (die Anderen) besuchen einen Makler und wollen ein Haus kaufen. Der Makler führt sie in ein altes bayerisches Schloss. Plötzlich tauchen Gespenster auf. Besorgt um seinen Kaufvertrag, versucht der Makler, diese vor seinen "Kunden" zu verbergen. Aber zu spät: sie haben die Gespenster bereits gesehen und - freunden sich mit ihnen an. Alle verbünden sich nun gegen den Makler. Auf einmal sind die Geister jedoch verschwunden und tauchen nicht mehr auf - weder aus dem Dies- noch aus dem Jenseits. Daraufhin lehnen die jungen Männer ab, das Haus zu kaufen: ohne Gespensterspektakel ist es ihnen zu langweilig. Sie ziehen weiter, ein neues Geister-Haus zu suchen.

Im Rahmen der Handlung erscheinen Gestalten aus alten Sagen- und Märchenzeiten auf der Bildfläche: Riesen und Zwerge, Feen und Höllengeister, Meerjungfrauen, Jung-Siegfried, ein Schmied, Slapsticks - Szenen als realer Vorgang mit komischem, weil unerwartetem Ende - beherrschen die Szene. Zum Beispiel gehen zwei Menschen aufeinander zu: und weil jeder an etwas anderes denkt, stoßen sie zusammen, obwohl jeder den anderen "sieht".

In ihren zwölf Songs haben die Anderen die Zauber- und Märchenwelt des Films in Musik und Text eingefangen. Wer sind die Anderen? Sie wohnen und musizieren gemeinsam in einem Haus bei Hamburg - zwei Studenten, ein Wärmetechniker und ein Dekorateur. Ihr musikalischer Leitsatz lautet: "Wir kopieren weder fremde Klänge noch fremde Hits." Über das tägliche Leben der Anderen wurde Auskunft gegeben in dem Fernseh-Kurzfilm "Ein Haus voll Musik". Danach folgten Spielfilm-Angebote für die tele- und fotogenen und musikbesessenen Früh-Twens, die alle unter 25 sind: "Die Lümmel von der ersten Bank" und "Wieviel Erde braucht der Mensch?". Natürlich - wie konnte es anders sein! - sind die Anderen auch entdeckt worden. Damals, im Jahr 1967, setzten die vier, die sich aus konkurrierenden norddeutschen Beatbands zusammengetan hatten, alles auf eine Karte und meldeten sich für die ZDF-Nachwuchssendung "Show-Chance". Mit turmhohem Vorsprung siegten die Anderen in der Sparte "Gesangsgruppen mit Instrumentalbegleitung".

Und das ist der Grund, warum TV-Produzent Conradt die Anderen unter vielen gehörten Gruppen als Hauptakteure für "Kannibal Komix" auswählte: "Ich habe besonders in Musikerkreisen viel herumgefragt, bevor ich mich für die endgültige Besetzung meines Films entschieden habe. Dabei ist der Name "Die Anderen" am häufigsten genannt worden. - Ich habe meinen Entschluss nicht bereut."

Weibliches Wesen im "weißen Haus" ist die junge Schwedin Marianne Blomquist, die als Meerjungfrau - völlig mode-aktuell - "oben ohne" auftritt...

"Kannibal Komix" - ein Fernsehfilm und eine Langspielplatte, die randvoll gepackt ist mit zündenden Beatrhythmen, mit Einfällen in Text, Musik und Arrangement, die den Anfangssatz über die Anderen neu bestätigen. "Endlich wieder eine deutsche Gruppe mit internationalem Format." (Ende Zitat Albumcover)

Der Vollständigkeit halber sollte man jedoch hinzu fügen, dass vier der zwölf Kompositionen des Albums von John O'Brien-Docker beigesteuert wurden und ein Song eine Gemeinschaftsarbeit von ihm mit Gerd Müller war, der nun aus steuerrechtlichen Gründen begann, vielfach unter dem Geburtsnamen seiner Frau (Schwanke) zu veröffentlichen. Trotzdem war "Kannibal Komix" ein glänzender LP-Einstand für "Die Anderen".

So dauerte es nicht lange, bis auch die amerikanische Plattenfirma "Colossus" hellhörig wurde. Diese war ganz scharf darauf, eine deutsche Band unter Vertrag zu nehmen und führte eine Audition mit "Wonderland" (Achim Reichel, Frank Dostal, Dicki Tarrach, Helmut Franke, Les Humphreys), die mit "Moscow", "Poochy" und "Boomerang" schon beachtliche Hits aufweisen konnten und den "Anderen" durch. Die Amerikaner entschieden sich für die Jungs aus Kiel. Rückblickend muss man jedoch konstatieren, dass diese Entscheidung der Anfang vom Ende ihrer gemeinsamen Karriere gewesen ist. Hinsichtlich der Mühe, die sich die US-Firma gab, konnte man vordergründig eigentlich keine Beanstandungen ins Feld führen: Mit dem Longplayer "Kannibal Komix" und der gleichnamigen Single mit "Little Little" als B-Seite wurden relativ schnell zwei Produkte der "Anderen" in Übersee auf den Markt gebracht. Dann verpflichtete man Giorgio Moroder als Produzenten, um mit ihm den Soundtrack zu dem Film "Wunderland der Liebe" einzuspielen, der gleichzeitig als neue LP in Amerika veröffentlicht werden sollte. Zusätzliche kompositorische Unterstützung wurde außerdem in Person von Les Humphries (inzwischen veränderte Schreibweise!) bereit gestellt. Es nützte jedoch alles nichts, die Sache hatte drei entscheidende Haken: Obwohl die Platte höchst aufwendig produziert wurde, wollte "Colossus" eine typische Krautrock-Scheibe von der Band. Das bedeutete, dass der Harmoniegesang und die starken Melodien der "Anderen" zu Gunsten von seinerzeit als progressiv geltenden Instrumentalsoli vollständig beseitigt wurden. Zweitens wurde mit Blick auf Amerika der Bandname erneut in "Apocalypse" geändert, welcher gleichzeitig als Album-Titel Verwendung fand. Damit war sowohl der Musik, als auch der Gruppe selbst bei den bisherigen Fans jeder Wiedererkennungswert genommen. Das Produkt verstaubte in den deutschen Regalen. Und drittens brach ein absolutes finanzielles Desaster über die Combo herein, als "Colossus" kurz nachdem die erste Single in den USA erschienen war, Konkurs anmelden musste. Ariola versuchte mit einer dortigen Veröffentlichung der LP und der davon ausgekoppelten Nachfolge-Single "Reflections Of A Summer/Let It Die" zwar noch zu retten was zu retten war, die Maßnahme blieb aber erfolglos.

Bernd Scheffler hatte nun endgültig die Faxen dicke. Nach einem letzten Set im Fördehochhaus ihrer Heimatstadt Kiel ging er von der Bühne, ließ sein Schlagzeug stehen und rührte es bis zum heutigen Tage ungeachtet bestehender Verträge nie wieder an. Nur 10 Tage später nahm er eine Ausbildung als Krankenpfleger in einer Psychiatrie in Ochsenzoll auf. Die übrigen Mitglieder seiner Band hat er seither nie wieder gesehen.

Jürgen Drews veröffentlichte kurz darauf seine ersten deutschsprachigen Platten, drehte in Italien insgesamt 8 Filme, u.a. mit de Sica und Mario Adorf, und schloss sich nebenher den Les Humphries Singers an. Auch Gerd Müller brachte unter dem Pseudonym Mon Thys diverse Solo-Singles auf den Markt, bei denen es sich häufig um deutsche Versionen internationaler Hits handelte ("Hot Love", "Sugar Baby Love"), bevor er sich als Mitarbeiter des Musikverlages "Day & Hunter" um Bands wie Lake und Epitaph kümmerte. Seit 1989 besitzt er seine eigene "Gerd Müller Company", die der EMI angeschlossen ist. Enrico Lombardi lebt heute in Winsen/Luhe. Er betreibt ein Studio in Garstedt, wo er neue Titel schreibt und ohne Erfolgsdruck andere Künstler aufnimmt. Außerdem ist er nach wie vor ein gefragter Begleitmusiker für aufnehmende und tourende Kollegen.


Hinweis:

Die Alben der Anderen KANNIBAL KOMMIX (plus A- und B-Seiten der in Deutschland erschienenen Singles als Bonus Tracks) sowie APOCALYPSE sind neuerdings im CD-Format und in vorzüglicher Aufmachung wieder erhältlich. Bei amazon.de und jpc.de.



Krautrock-Musikzirkus Teil 1
Teil 2

Long Hair Music


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